Kölner Kopf-Kino – die Silvester-Nacht und ihre Folgen

Bisher hielt ich mich für gefeit gegen pauschale Vorurteile. Gegen das schnelle „in die Schublade Stecken“. Doch was passiert da gerade in meinem Kopf – in den Köpfen vieler Bürger unserer liberalen Gesellschaft? Nach den Ereignissen an Silvester rund um den Kölner Hauptbahnhof und die Domplatte.

Da stehe ich heute morgen in Köln an der Haltestelle des Breslauer Platzes warte auf die S-Bahn und ertappe mich dabei, wie ich einen ebenfalls Wartenden gedanklich mit der Frage belege „War der auch dabei? An Silvester. Bei den unsäglichen Angriffen auf Frauen, auf unsere Freiheit.“ Und ärgere mich darüber, dass dieser Gedanke überhaupt aufkommt. Nur weil er eben dem Klischeebild eines Menschen mit Migrationshintergrund entspricht.

Bei mir, dem überzeugten Europäer, dem bekennenden Demokraten, dem begeisterten Anhänger einer multikulturellen Gesellschaft machen sich Bedenken breit. Ob und wie sich meine Einstellung geändert hat, aufgrund der Medien-Berichterstattung oder besser gesagt der anfänglichen NICHT-Berichterstattung über in jedem Fall schockierende Ereignisse.

Mein Mitreisender benötigt offensichtlich Hilfe beim Kauf eines Fahrscheins. Als offener, kommunikativer Mensch stelle ich mein Kopfkino augenblicklich ab und biete meine Hilfe an. Wir kommen ins Gespräch. Es scheint, als teile Aiman meinen Hang zur Kommunikation. Er ist tatsächlich Asylbewerber, kommt aus Syrien. Bis dahin würde die Schublade noch passen, die ich gerade – wider besseren Wissens – im Begriff war zu öffnen. Doch, und das passt nicht in die Schublade, der junge, sympathische Mann ist Arzt. Ausgebildet mit abgeschlossenem Studium in seinem Heimatland. Leider wird diese Qualifikation in Deutschland nicht anerkannt. Dies läge daran, dass viele seiner Landsleute mit gefälschten Papieren eingereist seien und daher die deutsche Regierung auch echte Zertifikate in Frage stellen würde, erzählt er. So muss er nun wieder die Schulbank drücken und eine 8-monatige Qualifikation machen, damit er hier als Mediziner arbeiten darf.

Sein Deutsch ist bemerkenswert. Er hatte einen Anfängerkurs bereits in Syrien belegt und studiert hier intensiv seit vier Monaten. Ich bin beeindruckt. Insbesondere als er mich fragt, warum man auf deutsch sagt: „jemandem einen Maulkorb verpassen“. „Verpassen“ würde man ansonsten doch den Zug oder die U-Bahn. Ich muss schmunzeln über die Offenlegung der zeitweisen Un-Logik der deutschen Sprache. Und auch, weil ich nicht zu den Menschen gehöre, die sich gerne einen Maulkorb verpassen lassen. Er, so hat es den Anschein, auch nicht. Und das ist auch gut so. Solange wir dabei im offenen, direkten Gespräch miteinander bleiben.

Daher spreche ich ihn auch sofort auf die Ereignisse rund um den Dom während der Silvester-Nacht an. Er sagt, er sei auch geschockt gewesen und kommt dabei sehr glaubhaft rüber. Er meint, sich als Unbeteiligter stellvertretend auch für seine Landsleute dafür entschuldigen zu müssen. Mich beschleicht noch mal kurz mein schlechtes Gewissen dafür, ihn anfangs in die falsche Schublade gesteckt zu haben.

Aiman macht seine Fortbildung im selben Institut wie ich. Ich bin neugierig darauf, mehr über ihn zu erfahren. Die Chancen stehen gut, dass wir im Gespräch bleiben. Denn auf einmal verbinde ich mit der „Flüchtlingskrise“ keine Meldung aus den Medien, sondern das Gesicht eines Menschen mit seiner eigenen Geschichte. Über die ich mir nun direkt ein Bild machen kann. Mir hat dieses kurze Kennenlernen gezeigt, dass wir uns vor Pauschalurteilen hüten müssen, dass wir uns nicht in die Irre führen lassen dürfen, weder von den Medien noch von den selbsternannten schnellen Problemlösern, egal welcher Gruppierung. Wach bleiben und kritisch hinterfragen dessen, was als Information an uns herangetragen wird, aber auch des eigenen Denkens. Wenn wir eine pluralistische Gesellschaft bleiben wollen, in der wir freiheitlich und trotz aller Unterschiede friedlich zusammenleben.

 

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